Manchester, mit 2,5
Millionen Einwohnern Englands zweitgrößte Stadt. Die Stadt, in der Engels den
Begriff „Manchesterkapitalismus“ erfand. Eine Stadt mit einer spannenden
Musikgeschichte, die neben Bands wie BUZZCOCKS, THE FALL und JOY DIVISION später
auch OASIS hervorbrachte. Außerdem die FAST CARS, die sich 1978 gründeten, 1980
auflösten, um sich 1990 wieder zusammen zu tun und deren melodischer Punkrock
sie bis nach Japan bekannt gemacht hat.
So war der Sänger der FAST CARS,
Steve Murray, genau der Richtige (und obendrein ein sehr sympathischer)
Gesprächspartner, um mehr über Manchesters Punkrockgeschichte zu erfahren.
Als ihr mit der Band angefangen habt, was war der größte Unterschied
zwischen der Szene in London und der in Manchester?
„Die Londoner Szene
war viel größer, weil es dort am Anfang mehr Bands gab. Die Bands in Manchester
hatten aber die Möglichkeit, ein bisschen etwas anderes zu machen – in London
war es mehr ‚Das ist Punkrock, und das muss so und so klingen’. Allerdings
wurden wir auch nicht so akzeptiert wie die Londoner Bands. Das Musikbusiness
war eben in London. Es war für uns als Band vielleicht ein Vorteil, dass wir in
Manchester waren, aber es war aus kommerzieller Sicht vermutlich ein Nachteil.“
Wie war Manchester damals, und wie ist es heute?
„Damals war die
Musikszene sehr klein, alle Bands arbeiteten zusammen. Es gibt die Compilation
‚Manchester Collection’, die hat damals ein Typ alleine zusammengestellt, und da
sind alle Bands aus Manchester drauf. Es gab einige Leute, die zur gleichen Zeit
in mehreren Bands gespielt haben. Viele Leute haben sich damals für Punkrock
interessiert. Und es gab viele Bands aus Manchester, am Anfang natürlich die
BUZZCOCKS, dann Bands wie wir, die dazukamen. Es waren gute Zeiten, wir haben
dreimal pro Woche gespielt, manchmal hier, manchmal in London, im ganzen Land.
Heute ist die Stadt selbst viel größer. An jeder Ecke stehen neue Gebäude, und
die meisten davon sind in den letzten zehn Jahren gebaut worden. Ich denke, dass
das gut für Manchester ist.“
Was war eure Motivation, eine Band zu
gründen?
„Ich wollte schon immer in einer Band spielen. Meine erste Band
hatte ich mit 14, zusammen mit meinem Bruder, der jetzt auch bei FAST CARS
spielt. Es war einfach unsere Leidenschaft. Damals waren unsere Vorbilder die
ROLLING STONES, DAVID BOWIE, SLADE. Aber was mich wirklich dazu bewegt hat, die
FAST CARS zu gründen, war als ich 1976 die SEX PISTOLS gesehen habe. Es war ein
bisschen schade, dass die anderen in der Band, die heute die FAST CARS ist, am
Anfang nicht so begeistert waren, wir waren mehr eine Rock’n’Roll-Band und haben
uns der Punkrock-Szene nicht so früh angeschlossen, wie ich das eigentlich
wollte. Ich habe dann sechs oder sieben Monate mit Marc Riley von THE FALL in
einer Band gespielt, und in dieser Zeit hatte sich Punkrock etabliert. Da habe
ich beschlossen, es noch mal mit meinen Schulfreunden zu versuchen – wir haben
uns zusammengetan, und damit hat es mit uns angefangen. Die Songs, die ich zu
dieser Zeit geschrieben habe, waren Punkrock, es waren schnelle Songs. Am Anfang
waren unsere Stücke etwas zu lang, und wir konnten ein bisschen zu gut spielen.
Aber es hat uns Spaß gemacht, und es macht uns auch heute noch Spaß.“
Wie war euer Verhältnis zu den Bands wie THE FALL, JOY DIVISION und NEW
ORDER, die eher ein bisschen düsterer und aggressiver waren?
„Wie ich
gesagt hatte, ich habe mit Marc Riley von THE FALL in einer Band gespielt bevor
er bei THE FALL war. Wir haben mit JOY DIVISION im selben Gebäude geprobt. Die
waren immer schon ein bisschen düsterer als wir. Damals konnte ich nicht
wirklich nachvollziehen, was sie damit wollten – ich habe nicht verstanden,
warum sie nicht einfach ihre Gitarren lauter drehen und ein bisschen Spaß haben
konnten. Wenn ich mir die Sachen heute anhöre, wird mir klar, was für großartige
Songs sie hatten.“
Vielleicht sind das die zwei Seiten von Manchester,
einerseits diese Bands und andererseits Bands wie ihr oder die BUZZCOCKS?
„Auf jeden Fall. Zu der Zeit konnte man an einem Abend THE FALL, FAST
CARS, JOY DIVISION und die BUZZCOCKS zusammen spielen sehen. Weil die Szene
kleiner war, gab es nicht so viele Clubs, und weil die Bands alle in den
gleichen Clubs gespielt haben, konnte man sich viele verschiedene Arten von
Musik zusammen anhören. Wir haben auch mit Reggaebands gespielt oder mit John
Cooper Clarke, der dieses Poesie-Ding gemacht hat. Es war gut, dass es alle
diese Sachen zur gleichen Zeit gab und dass sie vom gleichen Publikum akzeptiert
werden konnten.“
Wie siehst du Punkrock heute? Fühlt ihr euch immer noch
als Teil der Szene?
„Ich denke schon, dass wir dazugehören. Allerdings
kommt mir vieles vom heutigen Punkrock sehr hart vor. Wir haben letztes Jahr bei
Holidays In The Sun gespielt, und wir haben die gleiche Energie wie andere
Bands, aber mehr Melodie. Deshalb hat man uns am Anfang auch nicht immer als
Punkrockband anerkannt. Und bei vielen Punkbands heute, ohne Melodien, fehlt mir
etwas. Ich liebe die Energie im Punkrock. Aber gleichzeitig möchte ich auch eine
schöne Melodie und eine gute Gitarre hören. Heute wird Punkrock mehr akzeptiert.
Damals dachten viele, dass es nur eine Modesache wäre und wieder vorbeigehen
würde. Das war aber nicht so, und ich denke, dass es auch nie so sein wird. Ich
ziehe mich heute nicht mehr als Punkrocker an. Aber ich habe Freunde, die
genauso alt sind wie ich, Anfang vierzig, die sich so anziehen, und das ist gut
so. Es war nicht nur Mode, es war gleichzeitig die Musik und die ganze
Einstellung. Das hat sich nie geändert, und heute ist Punkrock immer noch
lebendig. Wir freuen uns darüber. Damals hatten wir das Gefühl, dass wir gut
waren, aber wir hatten nicht den Erfolg, den wir uns gewünscht hätten. Es ist
für uns eine große Anerkennung, 21 Jahre nach der Auflösung der Band ein Album
zu machen. Und ich glaube, dass es uns heute sogar mehr Spaß macht, weil wir
nicht unter Druck stehen. Wir können uns einfach darüber freuen, wenn sich unser
Album gut verkauft, weltweit.“
Was glaubst du waren die Gründe dafür,
dass ihr damals nicht diesen Erfolg hattet?
„Wir hatten zu lange Haare
... Also, ich denke wirklich, dass das Image ein Teil des Problems war, weil wir
uns nicht an den Punkrock-Dresscode gehalten habe. Vielleicht waren wir auch
musikalisch ein bisschen zu ausgefeilt, wir konnten ein bisschen zu gut spielen,
zu viele Gitarrensoli. Witzigerweise machen wir das heute gar nicht mehr, aber
jetzt ist es ein bisschen zu spät. Vielleicht hätte auch einfach jemand unser
Potential erkennen müssen, ein Manager oder so. Jemand, der sich unsere Songs
angehört hätte und gesagt hätte ‚Macht das nicht, macht das’. Vielleicht hätte
das einen Unterschied gemacht. Zu der Zeit war ich selbst unser Manager, und ich
war 19. Ich habe alles alleine gemacht, die Songs geschrieben, die Gigs gebucht,
mit Plattenfirmen verhandelt. Das war vermutlich ein bisschen zuviel für einen
Neunzehnjährigen, wir hätten vielleicht jemand gebraucht so um die 25, 26 herum
mit ein bisschen Erfahrung.“
Wie kam es dazu, dass ihr in Japan gespielt
habt?
„Das kam eigentlich durch die Website. Mein Bruder Stuart macht
die, und als er daran gearbeitet hat, hat er versucht über Suchmaschinen
herauszufinden, wie gut sich unsere Single überall auf der Welt tatsächlich
verkauft hat. Als die Website fertig war, hat uns ein Typ aus Japan
angesprochen, ob wir dort mal spielen könnten. Zuerst haben wir es für einen
Witz gehalten und haben gesagt ‚Ja klar, gerne’ – und dann ist es tatsächlich
passiert, und es war fantastisch. Wir haben dort in einem kleinen Club vor 200
Leuten gespielt. Damals hatten wir nur die eine Single, ‚The Kids Just Wanna
Dance’, dazu die B-Seite und die Tracks auf der Manchester Collection. Aber
irgendwie kannten alle unsere Songs und unsere Texte, und dann sangen diese
ganzen Japaner unsere Texte über einen Pub in Manchester mit!“
Wie oft
spielt ihr live? Habt ihr vor, neue Platten herauszubringen?
„Wir
spielen ungefähr drei- oder viermal im Jahr. Gerade eben haben wir zwei Singles
auf 1977 Records in Japan veröffentlicht. Außerdem planen wir ein zweites Album.
Und wir klingen wirklich wieder wie die alten FAST CARS. Wir hatten auch mal
eine Deutschlandtour geplant, wir hatten ein paar Kontakte geknüpft, aber es ist
dann doch nicht dazu gekommen. Aber wenn jemand Interesse an uns hat und möchte,
dass wir dort spielen, würde uns das großen Spaß machen. Natürlich bräuchten wir
jemanden, der das organisiert und uns promotet. Aber wenn sich die Möglichkeit
ergibt, würden wir das gerne tun.“